Unpolitische „politische Bildung“ durch Geographie? Eine disziplinhistorische Skizze
DOI:
https://doi.org/10.18452/23265Schlagworte:
Gepolitische Bildung, Länderkunde, naturalistischer Fehlschluss, Lernen aus GeschichteAbstract
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Ruf nach einer Erziehung für den Staat durch die Schule immer lauter. Der Beitrag der Geographie hing davon ab, wie sie mit der damals gefestigten Zweiteilung der Wissenschaftskultur umgehen würde: Die Naturwissenschaften kümmerten sich um die Natur, die Geisteswissenschaften um den Geist nebst Artefakten. Die Geographie, die beide Seiten bediente, stand somit vor dem Problem, entweder einen Dualismus zu akzeptieren oder diesen Gegensatz zu überbrücken. Letzteres wollte die Länderkunde, die auch bildungspolitisch abgesegnet wurde. Allerdings führte ihr Weg primär über die Natur zur Seite des Geistes. Der Beitrag der Geographie zur politischen Bildung sollte folglich zeigen, dass alles menschliche Leben, auch das politische, von der Natur der Erdoberfläche mitbestimmt wurde und sich an ihr als Norm ausrichten sollte. So wurde in einem naturalistischen Fehlschluss vom Sein auf ein Sollen geschlossen und Politik zum Vollzug von Naturgeboten, wofür es keine persönliche Verantwortung gab. Das zentrale Medium zur Durchsetzung dieses Weltbildes war die Karte. Die heutige Geographie hat sich von dieser naturlastigen Version, die fachlich sein wollte, aber parteilich war, verabschiedet. Im populärwissenschaftlichen Bereich lebt sie fort. Aus der Beschäftigung mit der Disziplingeschichte kann gelernt werden, wie problematisch solch ein Ansatz ist, der aus physischen Objekten normative Empfehlungen für die Politik ableitet, statt Politik als Zusammenspiel von Raumimaginationen, Interessen und Machtansprüchen zu verstehen.
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